Aus der Zeit gefallen?!
Es war mal wieder an der Zeit – 13 junge Erwachsene aus dem Zimmererhandwerk begleitet von ihren Berufsschullehrern wagten die Reise ins Mittelalter zum Campus Galli nahe der oberschwäbischen Stadt Meßkirch. Im Rahmen der fünftägigen Ausfahrt, die nun zum dritten Mal in Folge stattfand, erhielten die Auszubildenden des zweiten Lehrjahres die Gelegenheit, Handwerkstechniken des 9. Jahrhunderts kennenzulernen und an der Erstellung eines Klosters mitzuwirken.
Montagnachmittag: Die Truppe trudelt nach und nach auf dem Campingplatz in Leibertingen ein. Nachdem die Zelte aufgeschlagen waren, starteten wir in unsere gemeinsame Woche wie gewohnt mit einem gemütlichen Grillabend. Voller Tatendrang machten wir uns am Dienstagmorgen auf den Weg zur Klosterbaustelle, dem Campus Galli. Hier erschaffen seit 2013 Tag für Tag Handwerker und Ehrenamtliche mit den Mitteln des 9. Jahrhunderts ein Kloster auf Grundlage des St. Galler Klosterplans. Als wir dort eintrafen, wurden wir schon freudig von unseren drei Zimmererkollegen Aurel, Michael und Julian erwartet. Zur Begrüßung führte Michael uns über das Gelände und setzte uns über den Baufortschritt in Kenntnis. Nachdem wir dann gruppenweise den einzelnen Baustellen zugeordnet waren, ging es endlich an die Arbeit. Es wurden Holznägel geschnitzt, ein Dach gedeckt, Zapfenlöcher gestemmt, Bäume gefällt und behauen, Pfetten gerichtet, Mauerwerk erstellt, Gefache für Lehmarbeiten vorbereitet.
Für Mittwoch wurde im Wetterbericht Gewitter vorhergesagt, sodass noch am Dienstagabend die Heuernte vom Feld in die Scheune gebracht werden musste. Zu dieser kräftezehrenden Arbeit kam unsere Hilfe sehr gelegen, denn Traktoren waren auf dem Campus Galli natürlich keine vorhanden. Die Heuernte wurde daher mit einem selbstgebauten Holzwagen von reiner Muskelkraft angetrieben zur Scheune befördert. Als Dank für die tatkräftige Unterstützung wurden wir am Mittwochabend zum gemeinsamen Grillabend am Campus eingeladen. Nachdem der erste Hunger gestillt war, entstanden spannende Gespräche zwischen den Handwerkern aus dem 9. Jahrhundert und uns. Denn auch wenn die Arbeitstechniken für uns aus dem modernen Baugewerbe aus der Zeit gefallen scheinen, sind die Themen, mit denen sich die Menschen hier beschäftigen nah an den unseren.
Am Campus Galli wird ganz bewusst auf den Fortschritt verzichtet, um handwerkliche Fertigkeiten, Techniken und Handwerkskunst aus längst vergangenen Zeiten vor dem Aussterben zu bewahren. Statt den Metermaßstab zum Messen zu benutzen, kommen die Handwerker hier mit den Maßeinheiten Finger, Hand und Fuß aus. Durch den Verzicht auf elektrisch angetriebene Maschinen dauert jeder Arbeitsschritt sehr viel länger als wir es aus der heutigen Zeit gewohnt sind. Die meisten Handwerker hier werden die Fertigstellung des Klosters selbst gar nicht miterleben. Aber was ist eigentlich die Antriebskraft unseres täglichen Schaffens – sowohl bei uns im Betrieb als auch auf dem Campus Galli? Was motiviert mich, zu arbeiten – insbesondere, wenn ich an der Fertigstellung des Bauwerks gar nicht beteiligt bin? Und wie rechtfertige ich es, meine wertvolle Schaffenskraft in die Erbauung eines Klosters zu stecken, das niemals Menschen beherbergen wird, während es zum Wiederaufbau im Ahrtal immer noch an Handwerkern mangelt? Erkenne ich den Wert darin, mein handwerkliches Geschick zu schulen und meine Handfertigkeiten auszubilden mit dem Wissen, dass Maschinen es effizienter und präziser können?
Fragen über Fragen. Feststeht, die Erfahrung auf dieser aus der Zeit gefallenen Baustelle mitzuarbeiten ist sehr wertvoll für uns. Um neben diesen teilweise schon philosophischen Sinnfragen einen kühlen Kopf zu bewahren, erfrischten wir uns täglich nach der harten Arbeit im Naturfreibad auf dem Campingplatz und ließen die Abende bei Lagerfeuer ausklingen.
Mit nahendem Ende unserer Klassenfahrt verstärkte sich auch der Zusammenhalt der Gruppe. Selbst wenn für den ein oder die andere die Berufsschule eher zur lästigen Notwendigkeit der Ausbildung gehört, die Klassenfahrt wird wohl in positiver Erinnerung bleiben und so manche hier geschlossene Freundschaft überdauert bestimmt sogar die Berufsschulzeit.